Nicht aus Mangel an Steinen* 

*zitiert nach Ahmed Zaki Yamani, ehemaliger saudischer Erdölminister: „Die Steinzeit ist nicht aus Mangel an Steinen zu Ende gegangen. Und das Erdölzeitalter wird enden, lange bevor der Welt das Öl ausgeht.“ Oliver Busch, Leiter des Incubation Clusters Defossilation, teilt seine Einschätzungen zum nahenden Ende des Erdölzeitalters und zum Wasserstoff als Schlüsselelement in der Transformation hin zur defossilierten Wirtschaft.

Fossile Brennstoffe treiben die Motoren unserer Gesellschaft an. Aber wurden sie eigentlich zu so einem integralen Bestandteil unseres Lebens? Und was können wir aus ihrer Geschichte lernen, das uns jetzt hilft diese Abhängigkeit abzustreifen?

Die Menschheit kennt Erdöl und Kohle seit tausenden von Jahren. In großem Stil nutzen wir beides aber erst seit dem 19. Jahrhundert. Damals verdrängte Steinkohle die Holzkohle und Erdöl den Tran, weil beide diese natürlichen, nachwachsenden Rohstoffe zunehmend rar und damit teuer wurden. Die wesentlichen Treiber des Wandels waren demnach Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit.

Die meisten Experten datieren den Beginn des (kommerziellen) Erdölzeitalters auf das Jahr 1859. Damals löste Edwin L. Drake in Titusville, Pennsylvania mit einer erfolgreichen Ölbohrung den ersten Ölrausch der Geschichte aus. Bis heute wirken diese frühen Zeiten nach. So wird die Ölproduktion noch immer in Barrel gemessen, nur weil Öl damals in Fässern (barrels) zu je etwa 159 Litern transportiert wurde. Das zeigt noch einmal die beschaulichen Anfänge des Erdölzeitalters.

Die aufkeimende Erdölindustrie stand damals vor fundamentalen Herausforderungen. Wie erschließt man die Ressource? Wie transportiert man sie zum Verbraucher? Wie verarbeitet und raffiniert man sie? Und wie macht man das alles zu einem wirtschaftlich tragfähigen Geschäft? Edwin Drake jedenfalls hat das Öl nicht reich gemacht. Sein Bohrloch lieferte damals rund 25 Barrel am Tag. Zum Vergleich: Heute verbraucht die Welt rund 100 Millionen Barrel pro Tag!

Nachhaltigkeit gab also damals den Impuls fossile Rohstoffe zu nutzen. Und Nachhaltigkeit ist heute der Antrieb diesen fossilen Rohstoffen wieder abzuschwören. Denn was lange so gut funktioniert hat, ist jetzt zum Problem geworden: Fossile Rohstoffe zu verbrennen, setzt CO₂ in die Atmosphäre frei und das heute in so großen Mengen, dass das Klima leidet. Fossile Rohstoffe sind außerdem endlich. Wenn sie erst einmal fehlen, wären die wirtschaftlichen Konsequenzen gewaltig. Grund genug also, sich jetzt auf die Suche nach anderen, besseren Treibstoffen für die Motoren unserer Gesellschaft zu begeben.

Wir wissen längst, dass erneuerbare Energien der richtige Weg sind. In ihrem World Energy Investment Report 2022 berichtet die Internationale Energieagentur (IEA), dass Investitionen in erneuerbare Energien in diesem Jahr jene in fossile Brennstoffe übersteigen – ein Trend, der sich laut den IEA-Experten im Laufe des Jahrzehnts noch deutlich verstärken dürfte. (Abbildung auf Seite 24 im Report https://www.iea.org/reports/world-energy-investment-2022)

Laut der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (IRENA) wird Wasserstoff dabei eine besondere Rolle spielen. Zum einen bietet er den einzig gangbaren Weg, CO₂ in bestimmten Bereichen, wie Stahlherstellung, Düngemittelproduktion oder dem Luftverkehr, zu vermeiden. Zum anderen lässt sich Wasserstoff gewinnen, indem man Wasser mittels (grünem) Strom aufspaltet. So macht Wasserstoff erneuerbare Energie speicherbar und transportierfähig. Für eine Welt, die zu 100 Prozent auf erneuerbare Energie setzen soll, ist das unerlässlich. Denn natürlich gibt es keinen Ort, an dem die Sonne immer scheint oder der Wind immer bläst. Bis 2050 werden wir laut IRENA deshalb weltweit eine Wasserelektrolyse-Kapazität von rund 5.000 Gigawatt benötigen. Heute liegt diese Kapazität bei 0,3 Gigawatt. Der Weg ist also zwar noch weit, aber das Wasserstoffzeitalter hat dennoch schon begonnen.

Interessanterweise erleben wir die gleichen Herausforderungen in diesen ersten Tagen des Wasserstoffzeitalters, wie zu Beginn des Erdölzeitalters: Wie entwickeln wir die Ressource? Wie verarbeiten wir sie und wie bereiten sie richtig auf? Wie bringen wir sie zum Kunden? Und wie macht man das alles zu einem wirtschaftlich tragfähigen Geschäft?

Das sind die Themen, an denen mein Team und ich intensiv arbeiten. Denn Evonik will als Wegbereiter der Wasserstoffwirtschaft zum Durchbruch verhelfen. Bei Creavis als strategischer Innovationseinheit und Business Incubator von Evonik arbeiten wir an neuen Technologien, um die Kosten für klimaneutralen Wasserstoff wettbewerbsfähig zu machen. Wir entwickeln und qualifizieren Materialien für eine effiziente und sichere Wasserstoffinfrastruktur. Und wir bauen dieses neue Geschäftsfeld für Evonik zusammen mit Partnern entlang der jetzt heranwachsenden Wasserstoffwertschöpfungskette. Künftig werde ich häufiger darüber berichten, was wir in diesem Bereich tun und wie.